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Hinfallen und wieder aufstehen - das ist für mich Betze

Hinfallen und wieder aufstehen - das ist für mich Betze


Hinter den Fans des 1. FC Kaiserslautern liegt eine extreme Woche. Der Abstiegskampf zehrt an den Nerven und belastet die Diskussion in den klassischen und sozialen Medien. DBB-Autor Marky über einen Verein, der zur Übertreibung neigt.

Am Samstagnachmittag hab ich mal wieder Rasen gemäht. In Kiel lief gerade die zweite Halbzeit. Ich wusste, dass wir 2:1 führen. Aber sicher ist sicher. Plötzlich tauchte mein Nachbar auf seiner Terrasse auf: "Soll ich dir sagen, wie es steht?" Da er bereits grinste, bejahte ich. Er hob drei Finger in die Hand und sagte: "Marlon Ritter, 84. Minute."

Ich lief voll mit Glück.

Als ich später von der realen in die digitale Welt wechselte, mischte sich auch eine andere Emotion in meine Ich-könnte-die-ganze-Welt-umarmen-Stimmung: Genugtuung und ein befremdliches Gefühl der Revanche. Ich musste an manche Aussage, an manchen Artikel und manchen Forumsbeitrag der vergangenen Tage denken.

Da war die Rede davon, "dass der Abstieg so gut wie besiegelt ist", wohlgemerkt am 30. Spieltag bei einem Punkt Rückstand. Auch die Fans hätten die Hoffnung verloren. FCK-Trainer Friedhelm Funkel sprach auf der PK nach dem Wehen-Spiel von "Weltuntergangsstimmung" um ihn herum.

Moritz Kreilinger vom "Kicker" spann den Faden im gedruckten "Kicker" weiter : "Über dem Betzenberg liegt eine gefährliche Lethargie. Dass sich die Mannschaft mit zunehmender Spieldauer regelmäßig ihrem Schicksal ergibt, spiegelt sich längst auch auf den Rängen wider, wo sich das Publikum von einschläfernden Spielen anstecken lässt. Der Mythos Betzenberg lebt aktuell nur in Geschichten."

Ich weiß nicht, wann der Kollege das letzte Mal im Fritz-Walter-Stadion war, aber ich möchte ihm meine Geschichte über den "Mythos Betzenberg" erzählen. Die ist noch gar nicht so angestaubt: Heimspiel gegen den späteren Aufsteiger Heidenheim, vorige Saison. Es steht 0:2. Kleindienst verschießt einen Elfer und es geht ein Ruck durch das Stadion. "Ist das alles, was ihr drauf habt, Heidenheim?" Beim 2:2 fällt die Westkurve in einen Rausch. Das Aufwachen ist dieses Mal schmerzhaft. Schon als ich nach Hause komme, schaffe ich es kaum die Treppen hoch. Nach einem missglückten Versuch, ein Kindertraining zu leiten, geht gar nix mehr. Der Hausarzt sagt: Da fehlt irgendwas am Muskel. Ich sage, ich war im Stadion gegen Heidenheim. In der Südpfalz muss man sowas aber nicht genauer erklären. Er schickt mich zum MRT. Der Doktor dort schaut auf die Aufnahmen und sagt: Knochen zertrümmert, Muskel gerissen - am Hintern. Offenbar ist dort bei der wilden Westkurven-Exstase ein Knie gelandet. Als ich aus dem Gebäude gehe, denke ich, ich trage jetzt eine Betze-Wunde. Mein Leben lang. Wie ein Tattoo. Bin Teil des Mythos.

März 2024: das Heimspiel gegen Osnabrück. Neben mir steht ein junger Kerl, der schier verrückt wird, weil der Tabellenletzte mit 2:1 führt. Schon da ist aber diese einzigartige Energie im Stadion. Als Simakala das Tor vor der Westkurve zerstört und Funkel draußen herumhüpft wie in seinen 70ern, sage ich zu dem Fan: "Vertraue dem Betze!" Und der Betze liefert. Mit Aches Tor in allerletzter Minute.

Auch gegen Wehen an einem Samstagmittag sind wieder über 40.000 mutig den Berg hoch. Wie ein riesiger rot-weiß-roter Wurm. Bestückt mit Schals, Trikots, T-Shirts und Mützen. Haben gehofft, gebangt und gelitten.

Das ist auch in unserer langen Vereinsgeschichte außergewöhnlich und außerordentlich. Doch wir können es gerade nicht wertschätzen. Nein, nachdem wir uns schon an Trainern, Managern und Spielern abgearbeitet haben, fallen wir schließlich über uns selbst her, verteufeln unsere Stimmung und unser Stadion.

Auch das ist Betze-like. Dieser Klub lebt von Übertreibungen. Eigentlich ist er schon lange eine einzige Übertreibung. Wir steigen Anfang der 1990er schier ab, gewinnen den Pokal und werden anschließend Deutscher Meister. Wir spielen in der Champions League, müssen dann bald runter in die Zweite Liga, holen als Aufsteiger sagenumwoben die Schale. Betze ist hinfallen und wieder aufstehen.

Zuletzt gewinnt das Geschehen wieder an Dynamik: Wir verhindern den Absturz in Liga 3 und steigen in einem aberwitzigen Finish auf. Auch die laufende Saison gleicht einer wilden Achterbahnfahrt. Abstiegsangst wechselt zunächst mit Aufstiegsphantasie. Ein Flaschenwurf reicht, um uns wieder aus der Bahn zu werfen. Wir reden uns ein, dass wir selbst ein 3:0 nicht über die Zeit bringen. Wir reden uns ein, dass wir ohne Ache kein Spiel gewinnen können. Und wir glauben, dass wir in der zweiten Halbzeit in einen Tiefschlaf verfallen. Betze is drama.

"Dramatische Menschen sind Gefühlsmenschen und leben in einer Welt voller Farbe und Intensität. Sie sind empfindungsorientiert, zeigen ihre Gefühle offen, wechseln schnell von Stimmung zu Stimmung, neigen zu spontanem und impulsivem Verhalten und nutzen den Augenblick. Für Menschen mit diesem Stil ist das Leben nie dumpf und langweilig, sie füllen ihre Welt mit Aufregung und Fantasie und erleben alles intensiv und überschwänglich", heißt es in einer Definition.

Nicht jeder FCK-Fan, der in den vergangenen Wochen die Hoffnung verloren hat, ist automatisch ein schlechter Fan oder überhaupt kein Fan. Nicht jeder Anhänger, der scharf kritisiert, ist ein Unruhestifter oder ein Hater. Jeder geht anders mit der Situation um. Auch die Hobby-Schreiber und die Journalisten, die den FCK intensiv begleiten - mal mehr, mal weniger distanziert.

Wir haben alle zu viel mitgemacht mit unserem Seelenverein. Unser Herz ist angeschlagen, die Traumata des letzten Jahrzehnts längst nicht überwunden. Die Euphorie eines Aufstiegs verfliegt schnell. Eigentlich braucht es Zeit, die Wunden zu heilen, aber wir haben wenig Verschnaufpausen.

Wir sollten deshalb nicht zu hart mit uns und anderen ins Gericht gehen. Lieber vergeben statt heimzahlen.

Die eingangs erwähnten Kommentare habe ich auch noch aus einem anderen Grund ausgewählt: Nach dem ich sie gelesen hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass wir gegen Kiel gewinnen. Fragt meine Freunde. Auch fallende Aktien finden einmal einen Boden: Dann muss man das Konto plündern und kaufen.

Ein Phsyio hat mir mal gesagt, die gesündeste und erfolgversprechendste Übung gegen Verkrampfung und Anspannung ist eine Gegenbewegung. Wenn nur noch in schwarzen Farben der Teufel an die Wand gemalt wird, fühle ich mich herausgefordert dagegenzuhalten. Auch mit dem Stilmittel der Übertreibung. Ich schrieb also in unseren Betze-WhatsApp-Chat: Wir siegen in Kiel - und entscheiden auch die restlichen Spiele für uns. Kommen am Ende auf 42 Punkte. Und dann lassen wir es krachen - und ich muss euch sagen, meine Tastatur hat dabei weder angefangen zu brennen, noch ist der Laptop abgestürzt.

Also, liebe FCK-Fans, neun Punkte noch und keinen weniger!

Und denkt dran, was unser weiser Trainer, Friedhelm Funkel, neulich gesagt hat: Am Ende bleibt der drin, der die Nerven behält.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marc Bartl

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