Taktik-Nachlese zum Spiel H96-FCK

Die DBB-Analyse: Langsam wird's unheimlich

Die DBB-Analyse: Langsam wird's unheimlich


The same procedure as last year: Die Elf des 1. FC Kaiserslautern startet mit einem Sieg in die Rückrunde, dreht bei Hannover 96 wieder mal einen Rückstand und bestätigt einmal mehr ihren Trainer: Sie ist einfach nicht totzukriegen.

Hat jemand für uns vielleicht noch ein paar Synonyme für den Begriff "Mentalitätsmonster" parat? Der ist im Zusammenhang mit dieser FCK-Elf in dieser Saison schon so oft gebraucht worden, dass man ihn gar nicht mehr hinschreiben mag. Und am Samstagabend haben ihn die Kollegen von "Sport 1" und "Sky" sogar noch ein paar Mal mehr strapaziert. Aber was soll einem auch sonst noch einfallen zu dieser Mannschaft?

Denn, ja, die diesmal in Blau aufmarschierenden Roten Teufel haben es wieder getan: Ihrem Trainer bestätigt, dass sie "einfach nicht totzukriegen sind" - so hatte es Dirk Schuster in unserem DBB-Interview im Dezember formuliert. Wieder haben sie ein Spiel gedreht. Und im Gegensatz zu den Partien gegen Darmstadt, Hamburg und Heidenheim glückte nach dem Ausgleich eines 0:1-Rückstandes gegen einen Team aus dem oberen Tabellendrittel sogar ein Dreier. Und das nach einer ersten Halbzeit, in der Gastgeber Hannover 96 durchaus überzeugend nachgewiesen hatte, dass er absolut zurecht oben dabei ist.

Drum hätten diesmal wohl auch die wenigsten noch auf den FCK wetten mögen, als es mit einem 0:1 in die Pause ging. Die 96er hatten ihn zwar nicht unbedingt an die Wand gespielt, doch schien ihr Matchplan einfach besser aufzugehen. Wie sie über weite Strecken Pressing und vor allem Gegenpressing praktizierten, das war fast schon lehrbuchmäßig. Lautern konnte da zwar defensiv recht gut dagegenhalten, entwickelte aber kaum etwas nach vorne.

Kein Klement, kein Rapp, kein Ritter, keine Kreativität - zunächst

Vor allem durchs Zentrum nicht, und das hatte Gründe: Zehner Philipp Klement war kurzfristig ausgefallen, ebenso Winterneuzugang Nicolai Rapp, der eigentlich ja auserkoren ist, die Passquote aus dem hinteren Mittelfeld zu erhöhen. Dazu ließ Schuster Marlon Ritter, der den letzten Teil der Vorbereitung verletzungsbedingt ausgefallen war, zunächst auf der Bank. Für Klement nominierte der Trainer Daniel Hanslik in die Startelf, der zwar laufstark und spielintelligent, aber doch mehr Stürmer ist. Und neben den rustikalen Sechser Julian Niehues stellte Schuster den gelernten Innenverteidiger Boris Tomiak, der auf dieser Position schon zum Jahresausklang in Düsseldorf in der zweiten Hälfte für bessere Zweikampfwerte gesorgt hatte.

Das Resultat: Hannovers Zehner Havard Nielsen mutierte dank der intensiven Betreuung dieser Doppel-Sechs laut "bundesliga.de" zwar zum "most pressed Player" dieser Partie, aber Kreatives aus dem Zentrum gab's von den Gästen in Hälfte eins kaum zu sehen. Am ehesten deutete sich noch was an, wenn Rechtsverteidiger Jean Zimmer seinen Vordermann Aaron Opoku in Szene zu setzen versuchte.

Der Rückschlag nach 15 Minuten

An Selbstvertrauen freilich hatte es den Lautren trotz der kurzfristigen Ausfälle nicht gemangelt. Das deutete sich schon nach wenigen Minuten an, als Keeper Andreas Luthe einen Abschlag bewusst nicht weit nach vorne drosch, sondern lieber zu Innenverteidiger Kevin Kraus passte. Was gegen einen Gegner, der sich bekanntermaßen nicht zwei Mal bitten lässt, ins Angriffspressing zu gehen, schon beinahe etwas Provokatives hatte, so nach dem Motto: Kommt doch, wir haben keine Angst vor euch.

Und eine Viertelstunde lang sah es tatsächlich so aus, als würden sich die Betze-Buben von den forsch attackierenden 96ern nicht aus der Ruhe bringen lassen. Dann aber geschah es doch: Ein vertikaler Ball des bedrängten Kraus landete noch tief in der Lautrer Hälfte beim Gastgeber. Der linke Außenbahnspieler Derrick Köhn marschierte beherzt in den Strafraum, zog aus eigentlich viel zu spitzem Winkel ab - und FCK-Keeper Andreas Luthe rutschte das Leder irgendwie durch.

Die Gäste versuchten nun zwar zu reagieren, schoben sich weiter nach vorne, richteten bis zur Pause aber nicht viel aus. Hannover war durch einen 18-Meter-Schuss Cedric Teucherts sogar näher dran am zweiten Tor. Da fiel es schwer, in der Pause optimistisch zu bleiben, auch wenn Torsten Mattuschka und Peter Neururer, die Kommentatoren-Sidekicks der übertragenden TV-Sender, immer wieder drauf hinwiesen, dass mit Lautern immer noch und jederzeit zu rechnen sei, bis in die Nachspielzeit hinein.

Der Hallo-Wach-Effekt zur Halbzeit: Stoff für Legenden

Was genau es ist, dass diese Mannschaft immer wieder den Hebel umlegen lässt? Das wird diese Saison wohl noch einigen Stoff für Legenden bieten. Flammende Halbzeit-Ansprachen jedenfalls gelten längst als Klischee. Auch in der Pause dieser Partie, versicherte Schuster hinterher, habe er die Hemmnisse im FCK-Spiel bis dato lediglich "in ruhiger und sachlicher Atmosphäre" angesprochen. Anscheinend aber können auch nüchterne Ansprachen euphorisierende Wirkung entfachen. Denn was sich an diesem Samstagabend ab Minute 46 im Niedersachsenstadion abspielte, dürfte in den Saisonrückblicken zum Highlight erklärt werden.

Sicher, zum "Dosenöffner" (FCK-Stürmer Terrence Boyd nach dem Spiel) in der 49. Minute wurde eine Standardsituation, wie sie auch in einer schwächeren Spielphase immer mal glücken kann. Tomiak verlängerte am kurzen Eck eine Hendrick-Zuck-Ecke, Niehues vollstreckte am langen Pfosten. Doch schon zuvor hatte sich angedeutet, dass nun ein anderer FCK auf dem Platz stand: Erst bei einem Flügelangriff über rechts, den Zimmer mit einer etwas ungelenken Flanke abschloss, dann nach einem Antritt Kenny Redondos über die linke Seite, nachdem Zuck ein erster Steilpass hinter die gegnerischen Linien geglückt war

Und nach dem 1:1? Versuchten die Hannoveraner zwar, wieder in ihr Spiel zurückzufinden, doch die Pfälzer waren nun besser in den Zweikämpfen. Und jetzt war es ihr Matchplan, der zunehmend besser zu greifen begann: nach Ballgewinnen gegen den weit aufgerückten Gegner klug, schnell und präzise umschalten.

66. Minute: Redondo entwischt links im eigenen Strafraum, passt ein wenig riskant ins Zentrum, Niehues gelingt in Bedrängung ein vertikales Zuspiel auf Boyd, der am Mittelkreis entgegenkommt, der passt auf den rechts lauernden Opoku. Flankenwechsel auf Zuck, Flanke auf den mittlerweile eingelaufenen Boyd, Direktabnahme - drin. Als Anschauungsmaterial für Nachwuchsmannschaften unbedingt empfohlen, downloadbar in lizenzierten Mediatheken.

Zum Ende hin braucht's auch ein wenig Glück

Es dauerte ein wenig, bis sich 96 von diesem Wirkungstreffer erholt hat. Eine echte Schlussoffensive startete erst nach der 80. Minute. Hannovers Interimscoach Andre Mijatovic, der den auf die Tribüne verbannten Cheftrainer Stefan Leitl vertrat, brachte die Offensivkräfte Sebastian Kerk und Maximilian Beier für die Defensivspieler Julian Börner und Fabian Kunze, stellte sein 3-4-1-2 auf ein 4-4-2 mit Raute um. Und, ja, jetzt brauchte Lautern auch mal Glück: Beier verpasste sechs Meter vorm Tor eine flache Köhn-Flanke nur um eine Fußbreite.

Und in der Nachspielzeit durfte Luthe seinen Fehler zum 0:1 wieder gutmachen, als er einen Kopfball des ebenfalls eingewechselten Hendrick Weydandt aus kurzer Distanz mit starkem Reflex auf der Torlinie entschärfte. Doch schon zuvor hatte der Routinier immer wieder gut geschnittene Flankenbälle des Gegners entschärft - und gezeigt, dass er seinen Patzer nervlich gut verarbeitet hatte.

Dem eingewechselten Philipp Hercher blieb es vorbehalten, den Schlusspunkt zu setzen. Unterstützt wurde er dabei von einem weiteren Einwechselspieler: Tyger Lobinger, der für ihn den Ball behauptete, ehe Hercher sich aus der eigenen Hälfte auf den langen Weg Richtung gegnerisches Tor machte, den als letzter Mann sichernden Hannoveraner Max Besuschkow glatt überlief und eiskalt an 96-Keeper Ron-Robert Zieler vorbeischlenzte.

Ein Duselsieg? Von wegen

Damit war der vierte Lautrer Sieg in Folge perfekt. Drei davon feierte der FCK auswärts. Die beiden Erfolge in Bielefeld und in Düsseldorf am Anfang und am Ende der Englischen Woche zum Jahresausklang dürfen der späten Treffer wegen getrost als "Duselsiege" gelten. Aber dieser hier?

Hatte sicher seine Momente, in denen es auch anders hätte laufen können. Aber Duselsieg?

Die ihrer Ansicht nach unglücklichen Verlierer könnten jetzt wieder mal auf ein paar statistische Daten verweisen: Der FCK verzeichnet laut "bundesliga.de" wieder mal eine schlechtere Passquote als sein Gegner - 73 satt 77 Prozent. Er ist wieder einmal weniger gelaufen - 114,5 statt 117,8 Kilometer. Ist weniger gesprintet - nur 187 statt 216 Mal. Er hatte, das ist ja man beim FCK gar nicht anders gewohnt, weniger Ballbesitz - 43 statt 57 Prozent. Und er hat weniger Ecken herausgeholt - 5 gegenüber 7.

Dennoch hat Lautern nicht nur nach tatsächlichen Toren gewonnen, sondern auch nach xGoals. "Wyscout" und "11tegen11" melden ein eher knappes Ergebnis von 1,01 : 1,06 für den FCK, "bundesliga.de" und andere Anbieter sogar ein recht deutliches von 0,66 : 1,32.

Hier wie üblich die Timeline von "11tegen11":

xG-Plot Hannover-FCK

Woran das liegen könnte? Nur am "Dusel"? Eine bessere Erklärung bietet vielleicht der Blick aufs "Passeffizienz"-Ranking von "bundesliga.de". Da wird den angekommenen Pässe eines Spielers die Wahrscheinlichkeit gegenübergestellt, die der Computer für das Ankommen seines Passes errechnet hat. Und da fällt auf: Die vier "passeffizientesten" Spieler dieser Partie stellte allesamt der FCK.

Bester ist Zuck, der 34 erfolgreiche Pässe spielte, obwohl statistisch eigentlich nur 29,5 hätten ankommen dürfen. Es folgen Tomiak, Opoku und, siehe da, Hanslik, der allgemein immer als unauffällig wahrgenommen wird. Börner und Besuschkow dagegen, die Spieler, die bei 96 die meisten Pässe spielen, weisen indes Effizienzwerte von minus 3,0 und 1,1 aus. Soll heißen: Lautern mag zwar weniger passen als der Gegner, kann dafür aber schwierige Pässe präziser spielen. Und gerade auch das kann entscheiden.

Hier die gewohnte Passgrafik von "11tegen11":

Passmap FCK

Und die von Hannover 96 zum Vergleich:

Passmap Hannover

Zum Abschluss noch die "Wyscout"-Übersicht über die einzelnen Duelle. Da fällt wieder mal das Pensum von Terrence Boyd aus. Die Grafik sei vor allem allen als Herz gelegt, die gerne behaupten, Lauterns Keilstürmer würde immer nur ein, zwei Mal im Spiel "aus dem Nichts" auftauchen, um zu netzen. Fakt ist, Boyd ist eigentlich immer präsent - als Rackerer, Prellbock und unermüdlicher Zweikämpfer.

Duelle Hannover-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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