Taktik-Nachlese zum Spiel SVW-FCK

DBB-Analyse: Startelf umkrempeln, Waldhof wegrempeln

DBB-Analyse: Startelf umkrempeln, Waldhof wegrempeln

Foto: Imago Images

Huch, was war das denn? Ausgerechnet in dieser Grottensaison beschert der 1. FC Kaiserslautern seinen Fans den ersehnten Derbysieg gegen Waldhof Mannheim. Und dieses 2:0 ist längst nicht das Einzige, das den Betrachter einfach nur staunen lässt.

4-2-3-1 statt 4-1-4-1. Attackiert wird nicht mehr zaghaft ab der Mittellinie, sondern in des Gegners Hälfte, mit allen vier Offensivspielern, und die Hintermannschaft rückt konsequent auf, damit keine Lücken entstehen. Tim Rieder ist jetzt Innenverteidiger. Die Außenverteidigerpositionen sind mit Jean Zimmer und Hendrick Zuck neu besetzt, ihre Vorgänger Philipp Hercher und Adam Hlousek stehen (bei Hlousek auch verletzungsbedingt) nicht einmal im Kader. Rechtsfuß Marius Kleinsorge ist als offensiver Flügelspieler in die Startelf zurückgekehrt, agiert aber "seitenverkehrt" auf der linken Seite, Kenny Redondo muss dagegen rechts ran.

Im Grunde findet sich nur die vertikale Linie mit Avdo Spahic, Alex Winkler, Hikmet Ciftci und Marvin Pourié auf den Positionen wieder, die sie in dieser Spielzeit bislang eingenommen haben. Viel mehr umkrempeln, als es der neue FCK-Coach Marco Antwerpen zu seinem Debüt getan hat, lässt sich eine Startelf eigentlich nicht.

Doch siehe da: Das Ganze funktioniert, und zwar vom Anpfiff weg. Und zwar so gut, dass es schon 2:0 steht, ehe die Zuschauer an den TV-Geräten sämtliche Änderungen korrekt registriert haben. Den Waldhöfern um ihren Coach Patrick Glöckner muss es in den ersten 20 Minuten genauso gegangen sein, denn vermutlich steht es genau deswegen so früh 2:0.

Nicht die Tore erstaunen, sondern deren Machart - Phänomen Kleinsorge

Interessant auch die Machart beider Tore, denn die war so in dieser Spielzeit bislang selten bis gar nicht zu sehen. Der erste Treffer fällt nach einer Ecke. Nicht unmittelbar, sondern nach einer geistesgegenwärtig retournierten Abwehraktion der Mannheimer. Der 1,75 Meter große Ouahim verlängert den zweiten Ball mit dem Hinterkopf auf Pourié, der körperlich stark zu Torschütze Zuck auflegt.

Vor dem 2:0 erobert sich Kleinsorge in der gegnerischen Hälfte den Ball, ein Pressing fast so schön wie das folgende Tor selbst, spielt im Zentrum Ouahim an, der ihn mit etwas Glück - auch das ist plötzlich vorhanden - behauptet und den einlaufenden Kleinsorge bedient. Und schon steht’s 2:0. Mann, Mann, Mann.

Was hatte dieser Kleinsorge bislang eigentlich für Probleme, in diese Mannschaft zu finden? Mit Zuck gemeinsam bildet er 60 Minuten lang ein Flügelpärchen, das sogar Zimmer und Redondo auf der anderen Seite aussticht.

Zimmer als Kapitän: vorbildlich - Nur Redondo fremdelt noch

Wobei eigentlich nur Redondo, bislang einer der wenigen verlässlichen Aktivposten in der FCK-Offensive 2020/21, mit seiner neuen Rolle noch ein wenig fremdelt. Wohingegen es an Zimmer, der schon während der Woche mit starken PR-Auftritten seinem neuen Kapitänsamt Ehre machte, auch auf dem Platz nichts zu meckern gibt: Je nach Gefechtslage mal Dampfmacher, mal pressingresistenter Bällebehaupter, mal einfach nur coole Sau.

Wie unterschiedlich gut die Lautrer Flügelpärchen harmonieren, zeigt auch die Positions- und Passgrafik. Zimmer findet seine Anspielpartner eher in Ouahim und Pourié als in Redondo, während Zuck nicht nur seinen Vordermann Kleinsorge gut mit Bällen versorgt, sondern auch dessen offensive Nebenleute. Zuck ist daher auch, kaum verwunderlich, als Spieler mit dem "Most progressive Passing" aufgeführt.

xG-Plot SVW-FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Waldhöfer. Das sieht auf den ersten Blick nach ordentlicher Ballzirkulation aus. Bei genauerem Hinschauen wird aber deutlich: Zwischen den fünf vorderen Spots verlaufen kaum Linien, lediglich Hamza Saghiri und Mohamed Gouaida spielten sich öfter mal das Leder zu. Zu erkennen ist aber auch, was für eine verlässliche Umschaltstation Marco Schuster im Mannheimer Spiel bildet.

Passmap FCK

Und wieso war dieser FCK dem SV Wehen Wiesbaden noch vor Wochenfrist körperlich so hoffnungslos unterlegen? Auf dem Waldhof sind die Lautrer über 90 Minuten in nahezu allen Zweikämpfen präsenter als der Gegner. Klar kann man sich drüber streiten, ob es "sportlich" ist, mit Verwarnungen zu strunzen, in diesem Fall aber darf diesem Aspekt mal eine gewisse Aussagekraft zugebilligt werden: 7:3 "siegt" der FCK in Sachen Gelbe Karten.

Wer da wohl aggressiver zu Werke ging? Waldhof-Sportchef Jochen Kientz pienzte in der Pause in die SWR-Kameras, der gelbe Karton gegen Ouahim hätte - weil Attacke "mit offener Sohle" - sogar ein roter sein müssen. Okay, "hätte können" vielleicht, und eine Überzahl hätte die Mannheimer womöglich besser ins Spiel gebracht. Aber "müssen"? Derby ist nun einmal Derby.

Sickinger und Ciftci: Als Doppelsechs deutlich im Aufwärtstrend

Und wieso hatte diese FCK-Mannschaft die ganze Zeit solche Probleme, von der Sechser-Position ein präzises Aufbauspiel zu initiieren? Rieder verrichtet diesmal als Innenverteidiger, was er am besten kann, nämlich Abwehrarbeit. Den Posten vor der Arbeit teilen sich die zuletzt schwächelnden Sickinger und Ciftci - und siehe da, das sieht über weite Strecken richtig gut aus, beiden glücken endlich mal wieder Balleroberungen und effektive Zuspiele nach vorne, also genau das, was "auf der Sechs" geleistet werden soll.

Auch wenn die Lautrer in Hälfte Zwei keine wirklich gefährlichen Angriffsaktionen vor dem Tor des SVW verzeichnen: Von kurzen Phasen abgesehen, halten sie den Ball vom eigenen Tor weg. Am besten setzt sich noch der eingewechselte Gilian Jürcher für die Gastgeber in Szene. Zehn Minuten vor dem Ende grätscht in aussichtsreicher Position der ebenfalls eingewechselte Marvin Senger energisch dazwischen - eine Aktion, die höchst riskant aussieht, die der Leihgabe aus St. Pauli aber blitzsauber glückt. Von der Ersatzbank und den ganz wenigen FCK’lern auf der Tribüne wurde diese Aktion bejubelt wie ein eigenes Tor.

Die xG-Timeline: Nicht viel Action vor den Toren, dennoch spannend

Die "expected Goals"-Timeline weist ein Endergebnis 0.70 : 0.57 zugunsten der Waldhöfer auf - was zeigt, dass ein Spiel spannend sein kann, auch wenn sich die Ereignisse vor den Toren nicht überschlagen. Als "dickstes Ding" der Gastgeber erscheint Marcel Seegerts Kopfballchance nach einer Ecke in der 18. Minute. Kurz danach markiert Kleinsorge das 2:0 für den FCK.

Passmap FCK

Was hat Marco Antwerpen in nur drei Tagen mit dieser Truppe angestellt? Okay, an dieser Stelle sei den notorischen Skeptikern Raum gegeben: Immer mit der Ruhe, schön den Ball flach halten, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Erst mal sehen, wie es jetzt weitergeht.

In der Tat: Noch sind es erst drei Punkte auf die Abstiegsränge, und nächsten Samstag geht es gegen den FC Bayern II. Ein unberechenbarer Gegner, bei dem sich viel Talent bündelt, der sich aber schwertut, zu konstanter Leistung zu finden. Und der über die vielen Umstellungen, mit denen Antwerpen den Gegner diesmal überrumpelte, genau informiert sein dürfte. Aber der große FCK-Kader bietet ja auch noch genug Möglichkeiten für weitere Überraschungen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2020/21: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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