Kummt Senf druff

Legt die Prioritäten endlich auf den Sport

Legt die Prioritäten endlich auf den Sport

Foto: Neis/Eibner

Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu und wieder einmal war es für den 1. FC Kaiserslautern ein sehr bewegtes. Doch auch wenn man Tiefpunkte mittlerweile gewohnt ist, die jüngsten Entwicklungen sind brandgefährlich. Es muss etwas passieren. Ein Kommentar von DBB-Autor Gerrit.

Gleich zu Beginn mal etwas Selbstkritik: Ja, auch ich gehörte zu denjenigen Fans und Journalisten, die dem FCK vor der Saison eine rosige Spielzeit zutrauten. Zu meiner Ehrenrettung darf ich einschränken, dass ich "Platz 2 bis 6" in der alljährlichen DBB-Saisonprognose für möglich hielt, "sofern der Saisonstart gelingt." Dass er jedoch so krachend misslingt, das hätte ich im Spätsommer diesen Jahres wahrlich nicht für möglich gehalten. Doch der Reihe nach.

Auf Hoffnung folgt die Insolvenz - und das im Fritz-Walter-Jahr

Wieder einmal gingen die Fans der Roten Teufel mit großen Hoffnungen in das neue Jahr. Doch dann kam Corona. Die Jahrhundert-Pandemie machte auch vor dem Profifußball nicht halt. Der Spielbetrieb wurde erst für einige Wochen unterbrochen, ehe er mit Geisterspielen fortgesetzt wurde. Geisterspiele? Für den FCK per se schon eine Horrorvorstellung, lebt doch kaum ein Verein mehr von der Emotion seiner Fans. Doch in diesem Jahr wurden sie zum "Killer": Der Verein, auch ohne Corona (mal wieder) in finanzieller Existenznot, konnte ohne die gerade in der 3. Liga so wichtigen Zuschauereinnahmen nicht weiter überleben. Nach Investoren suchte man vergeblich. Und so wurde am 15. Juni 2020 - ausgerechnet dem Jahrestag der Deutschen Meisterschaft von 1991 - das jahrelange Horror-Szenario tatsächlich Gewissheit: Der 1. FC Kaiserslautern war insolvent. Und das im Jubiläumsjahr, wo Feste zum 120-jährigen Bestehen des Vereins, zum 100. Geburtstag des Betzenbergs und Fritz Walters ohnehin schon Corona zum Opfer fielen.

Wilhelm-Streit bringt FCK an den Rand, doch Voigt bleibt ruhig

Doch als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, zerfiel auch das lange als Einheit vermarktete "Team Merk". Beiratsmitglied Jörg E. Wilhelm, seines Zeichens dichtender Senator auf Twitter, machte sich für einen Großinvestor aus Dubai stark, der ließ aber nachweislich zu viele Fragen offen. Wilhelm schoss gegen die eigenen Kollegen in der Vereinsführung, warf ihnen unlautere Machenschaften vor und wollte öffentlich "auspacken." Die Kollegen wiederum drohten Wilhelm mit rechtlichen Schritten sowie dem Vereinsausschluss. Dem kam er zuvor, er trat von allen Ämtern zurück und aus dem Verein aus. In diesen Wochen gibt der FCK, der zuvor erfrischend ruhig und solide an der Bewältigung der Insolvenz gearbeitet hatte, ein desaströses Bild ab. Zeitweise stand sogar die Eigenverwaltung auf dem Spiel, doch am 29. Oktober 2020 stimmte schließlich die Gläubigerversammlung dem Insolvenzplan zu, die FCK KGaA war ihre fast 24 Millionen Euro Schulden los. Auch wenn ein kleiner, aber alles andere als unerheblicher Teil davon am FCK e.V. hängen bleibt (ca. fünf Millionen Euro, vor allem von Kreditgeber Quattrex und aus der Betze-Anleihe), muss dem Team rund um Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt hier ein Kompliment ausgesprochen werden. Eine erfolgreiche Insolvenz unter diesen Bedingungen war alles andere als selbstverständlich.

Der sportliche Schein trügt: Kapitale Fehler in der Sommerpause

Sportlich schien sich die Mannschaft die Insolvenz-Thematik zunächst nicht anmerken zu lassen. Aus den elf Partien nach dem Re-Start vom 30. Mai 2020 holten die Roten Teufel trotz zwischenzeitlicher Schwächen 21 Punkte. Trainer Boris Schommers sprach immer wieder davon, seit er Trainer des FCK sei, stünde der Klub in der imaginären Tabelle auf Platz 3 - damit das stimmt, musste man jedoch die ersten sechs Wochen seiner Amtszeit außen vor lassen, denn da musste Schommers laut eigener Aussage ja die Mannschaft kennenlernen und analysieren. Dass diese Argumentation offensichtlich über Schwachpunkte hinwegtäuschen sollte, wurde schnell klar. Der Mannschaft fehlte es an klaren Führungsspielern, die auf dem Platz den Ton angeben, wenn wieder einmal die Felle davonzuschwimmen drohen. Früh wurde sich deshalb mit Innenverteidiger Alexander Winkler aus Unterhaching verstärkt. Und der sportlichen Leitung um Boris Notzon war offenbar bewusst: Das reicht noch nicht. Man bemühte sich intensiv um Halles Sebastian Mai - ein bulliger,1,95 Meter große Hüne, Sinnbild eines Führungsspielers. Doch der entschied sich für seinen Heimatverein Dresden. So etwas kann passieren. Was aber nicht passieren sollte: Die sportliche Leitung hatte keinen Plan B in der Hinterhand. Urplötzlich war von der Defensive als Baustelle keine Rede mehr. Fatal, wie sich noch herausstellen sollte.

Zudem hieß es lange von Seiten des FCK, man wolle und man werde die Leistungsträger Florian Pick und Christian Kühlwetter nicht abgeben. Und wenn doch, wurde Wochen später nachgeschoben, dann nur mit qualitativ höherwertigem Ersatz. Die Branche staunte nicht schlecht: Wie sollte das denn gehen, erst recht in der Insolvenz mit dem damals schon bekannten Sonderkündigungsrecht für begehrte Spieler? Richtig, gar nicht. Es ist offenkundig, dass Plan B in der Offensive - so er denn vorhanden war - nicht griff. Denn die Transfers von Flügelspieler Kenny Redondo und Stürmer Daniel Hanslik folgten erst fünf Wochen später, sprichwörtlich in letzter Sekunde am Deadline Day der Transferperiode, als die Saison schon längst lief. An die Torquote von Kühlwetter kommen sie bisher jedenfalls nicht heran, auch wenn bei Redondo zumindest schon gute Ansätze zu erkennen waren. Nur 16 Tore in 17 Partien sind ein klares Statement.

Trainerwechsel und sportlicher Absturz: Personalie Notzon muss geklärt werden

Die Stimmung war schon nach der 0:1-Heimniederlage gegen Dresden am 1. Spieltag im Keller. Vor dem Auswärtsspiel bei Türkgücü wurde bereits die Trainerfrage diskutiert - und nein, nicht erst durch Umfragen in Foren, nicht durch Online-Kommentare von Fans, sondern direkt im innersten Zirkel des Vereins. Dass an dem, was dann folgte, das ach so schwierige Umfeld oder die Medien Schuld gewesen wären, das ist ohnehin ausgemachter Blödsinn. Sportdirektor Boris Notzon stellte sich jedenfalls demonstrativ hinter Schommers - und entließ ihn drei Tage später nach einem 0:3-Debakel beim Aufsteiger. Die berühmte "Eigendynamik" wäre das gewesen, sagt Notzon immer wieder. De facto war die Art und Weise dieser Entlassung eine Bankrotterklärung. Schon länger stimmte es offenkundig zwischen dem Trainer und seinen Vorgesetzten in den Gremien nicht mehr. Schommers war zu stur, wollte seine Spielphilosophie weder der Mannschaft noch der 3. Liga anpassen. Doch so etwas zeichnet sich doch nicht erst innerhalb weniger Stunden ab. Der Verein hätte - wenn er denn Zweifel an seinem Übungsleiter hatte - schon in der Sommerpause reagieren müssen, um einem Nachfolger die Möglichkeit einer Vorbereitung und der Mitwirkung an Transfers zu geben. Stattdessen ließ man Schommers machen. Ergebnis: Timmy Thiele, ein schneller Offensivmann, wurde ohne größere Not zusätzlich zu Pick und Kühlwetter abgegeben. Rund vier Monate später sucht der FCK auf dem Transfermarkt - richtig, einen schnellen Offensivmann. Ein besseres Beispiel für Fehlplanung geht nicht.

Der FCK, der "vom ersten Spieltag an eine Spitzenmannschaft der Liga sein" wollte, rangiert im Dezember 2020 auf Platz 15 in der Abstiegszone. Auch der Trainerwechsel zu Jeff Saibene hat - betrachtet man die nackten Ergebnisse - nur wenig verändert. Und auch wenn Notzon sicher nicht für alles verantwortlich gemacht werden kann, für den Kader trägt er die Hauptverantwortung. Aber egal, wie man seine Arbeit bewertet: Die Personalie muss geklärt werden - und zwar jetzt. Der Vertrag des 41-Jährigen läuft aus, der Kader der kommenden Saison will geplant werden - und zwar nicht erst im Mai. Es wäre zudem fatal, Notzon im Sommer zwar zu ersetzten, ihn jetzt aber teure Wintertransfers machen zu lassen, deren Nutzen ohnehin zweifelhaft sind. Die Ankündigung, die "operative Verantwortung um einen Entscheidungsträger zu ergänzen", wie sich der Verein an Montagabend etwas verklausuliert ausdrückte, ist überfällig und zeigt, dass auch die Führungsetage erkennen musste, dass es mit Blick auf die nackten Ergebnisse so nicht weitergehen kann.

Der Schuldenschnitt ist eine Chance, aber: Es hapert auf allen Ebenen

Dabei ist es zu einfach, Boris Notzon als Alleinschuldigen hinzustellen. Er hat sicher seine Qualitäten im Entdecken und Analysieren einzelner Spieler. Nicht umsonst spielen viele "seiner" Spieler in der Bundesliga und der 2. Bundesliga. Mit einem neuen, starken Geschäftsführer Sport könnte Notzon beim FCK vielleicht sogar noch weiterarbeiten. Doch in der ersten Reihe bei der Zusammenstellung einer Mannschaft ist er gescheitert. Freilich sollte die Entscheidung über Notzons Zukunft aber dessen neuem Vorgesetzten zugestanden werden, sofern denn tatsächlich ein neuer Geschäftsführer Sport kommt, und diesem nicht vorweg gegriffen werden. Doch diese Entscheidungen müssen getroffen werden - und zwar zügig.

Und die Zeit rennt. Gehen wir davon aus, dass zumindest der Abstieg vermieden werden kann. Dann geht man nächstes Jahr schon in die vierte Drittliga-Spielzeit. Das ist nicht nur wirtschaftlich enorm schwer zu stemmen. Auch emotional zeigt sich in den letzten Monaten eine gefährliche Entwicklung. Immer mehr eingefleischte Fans entfremden sich - auch durch die coronabedingten Geisterspiele - von ihrem FCK. Immer öfter löst Gleichgültigkeit, jahrelang angestaute Wut und Ärger ab. Das muss auch endlich bei den Vereinsverantwortlichen ankommen. Es braucht mehr als Lippenbekenntnisse, damit es kein "Weiter so" mehr gibt.

Ein Anfang wäre es da, sich - auch in Corona-Zeiten - wieder etwas nahbarer zu zeigen. Dass Fans und Mitglieder, die dem Verein ihr letztes Hemd, wahlweise ihren letzten Cent gaben und geben würden, beispielsweise Wochen und Monate auf Rückmeldungen und Antworten aus Fanshop oder Geschäftsstelle warten, wirkt nicht gerade professionell. Zumindest automatisierte Antwort-Mails müssen auch für einen gestressten Drittligisten möglich sein. Diese Beschwerden gab es schon zu Zweitliga-Zeiten. Und das ist nur ein kleines Beispiel von vielen.

Der FCK muss aufwachen - auf allen Ebenen. Sonst sieht der nächste Jahresrückblick wieder sehr düster aus. Und das sollte sich doch jetzt langsam mal ändern.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gerrit1993

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