Im Blickpunkt

Von falschen Neunern, die schwimmen - ein Taktik-Exkurs

Von falschen Neunern, die schwimmen - ein Taktik-Exkurs


Die 0:1-Auftaktniederlage des 1. FC Kaiserslautern sorgt einmal mehr für Diskussionen um die von Boris Schommers bevorzugte Grundformation. Unser Taktik-Exkurs zeigt: Die Idee orientiert sich an großen Vorbildern. Doch braucht es dazu das richtige Personal.

Als Lauterns Cheftrainer zu Beginn dieses Jahres sein Team plötzlich in einem etwas unorthodox wirkenden 4-3-3 agieren ließ, schien es zunächst, als habe er diese Anordnung gewählt, um die spezifischen Stärken seiner damaligen Top-Scorer Christian Kühlwetter, Timmy Thiele und Florian Pick besser auszunutzen. Kühlwetter und Thiele, beide weder typische Flügel- noch Mittelstürmer, boten sich fortan auf der gesamten Breite des Spielfelds an, gingen weite Wege über Außen, drängten aber auch immer wieder ins Zentrum. In der Mitte war mit Pick der stärkste Einzelspieler des Teams mit allen Freiheiten ausgestattet, ließ sich immer wieder in den Zehnerraum zurückfallen oder wich auf die Flügel aus, wenn Kühlwetter und/oder Thiele den Strafraum besetzten.

Das ist natürlich kein klassisches 4-3-3 mit einem zentralen und zwei Flügelstürmen, allerdings auch keine eigenwillige Schommerssche Eigenkreation. Diese Formation war vor gar nicht allzu langer Zeit so ähnlich auch schon mal auf dem Betzenberg zu sehen. Tayfun Korkut stellte 2016 die Stürmer Osayamen Osawe (links) und Lukas Görtler (rechts) ebenfalls breit auf, gegen den Ball mussten die beiden sogar die gegnerischen Außenverteidiger verfolgen. In der Mitte konnte sich Zoltan Stieber dadurch oft viel weiter nach vorne schieben, als ein Zehner in einem mit Mittelfeldraute angeordneten 4-4-2 es normalerweise tut.

Überhaupt hat es zentrale Offensive, die zwischen "Neuner"- und "Zehner"-Position pendeln, um Nebenleuten oder Nachrückern die Räume zu öffnen, zu allen Zeiten gegeben. Sogar der größte Sohn des Vereins hat die Rolle schon gespielt.

Die fallenden Neuner: "Das war schon bei Fritz Walter so..."

In den 1940er Jahren, als Fritz Walter seine ersten Länderspiele bestritt, betraute Nationaltrainer Sepp Herberger seinen Lieblingsspieler damit - "der Chef" wiederum war dazu vom Spiel Matthias Sindelars inspiriert worden, einem österreichischen Fußballstar der 1920er Jahre. In den Fünfzigern gab Herberger die Idee jedoch zugunsten des eher klassisch orientierten Mittelstürmers Ottmar Walter auf, Bruder Fritz agierte fortan als sogenannter "Halbstürmer", was in etwa der späteren Zehnerposition entsprach.

Dafür hatten im legendären WM-Endspiel von 1954 die Ungarn mit Nándor Hidegkuti einen "fallenden" Mittelstürmer in ihren Reihen. In späteren Jahren interpretierten etwa Johan Cruyff oder der Däne Michael Laudrup die Rolle auf ihre jeweils eigene Art.

In den 2000er Jahren waren es zunächst die Portugiesen, die auf bewegliche Spieler im Zentrum setzten, João Pinto etwa. Damit trugen die Iberer der Tatsache Rechnung, dass sie über Jahre kaum klassische Mittelstürmer von Rang hervorgebracht hatten. Was wiederum daran lag, dass die offensiven Toptalente des Landes lieber Flügelstürmer sein wollten. Andererseits: Einem Luis Figo, Cristiano Ronaldo oder Nani in der Mitte Platz zu machen, so es sie dorthin zog, zahlte sich meist ja auch aus.

Die falsche Neun: Eigentlich nur ein Kompromiss

Und erst anschließend begann die große Zeit von Pep Guardiola und Lionel Messi. Und mit ihnen der Hype um die "falsche Neun". Die im Grunde lediglich Guardiolas Weg markierte, einen sogenannten "Enganche" im Spiel des FC Barcelona zu integrieren.

"Enganche" - zu deutsch: "Kupplung" - nennen die Argentinier ihre Zehner, die in der Regel die stärksten Individualisten ihres Teams sind und häufig kultisch verehrt werden. Diego Maradona war so einer und Lionel Messi wollte und sollte so einer werden. Guardiolas Spiel aber sah eine 4-3-3-Grundordnung vor, in der es nur zwei Achter auf den Halbpositionen gab - und keinen Zehner.

Also erfand er für Messi die "falsche Neun", übrigens gar nicht einmal sofort. Messi spielte in Peps 4-3-3 zunächst einen mit seinem starken linken Fuß nach innen ziehenden Rechtsaußen. Viele Trainer mögen den Begriff "Falsche Neun" nicht, sprechen lieber von einer "Neuneinhalb". Vom Freiburger Trainer Christian Streich stammt die originelle Formulierung "schwimmender Stürmer". Beim englischen Meister FC Liverpool beginnt vorne in der Mitte mit Roberto Firmino meist ein gelernter Zehner, der ebenfalls oft und mit viel Erfolg den einrückenden Außenstürmern Sadio Mané und Mohamed Salah Platz macht.

Variable Stürmer? So richtig passt bislang nur Pourié

Der kleine Ausflug in die Fußballgeschichte zeigt: Die Idee ist nicht neu, folgt aber äußerst anspruchsvollen Vorbildern. Wie soll der FCK sie künftig umsetzen? Pick, Kühlwetter und Thiele haben den Verein mittlerweile verlassen, Schommers sieht sich dem Ideal seines variablen Offensivsystems jedoch weiterhin verpflichtet. Mit Marvin Pourié ist auch schon ein Stürmer gefunden, der die lange Wege über außen ebenso gut und gerne geht wie die kurzen in der Mitte. Aber sonst?

Marius Kleinsorge war in Meppen eher ein klassischer Flügelspieler, doch seine beiden Tore gegen Sandhausen zeigten an, dass er durchaus imstande ist, wirkungsvoll ins Zentrum einzupendeln. Zurzeit fällt er verletzt aus. Mohamed Morabet hat gegen Ende der jüngsten "Geisterspielwochen" gezeigt, dass er für die beiden vorderen Positionen eine Alternative darstellt.


Dem Neuzugang Elias Huth hingegen hat Schommers im DBB-Interview zwar bescheinigt, variabel spielen zu können - den Nachweis blieb der 23-Jährige, der in Zwickau zuletzt eher als "echter" Neuner 14 Saisontreffer markierte, bislang allerdings noch schuldig. Desgleichen Lucas Röser, der nun schon seit seiner Verpflichtung vor knapp einem Jahr den Erwartungen hinterherhinkt. Da bleiben Fragezeichen. Ebenso dahinter, weshalb der FCK eigentlich unbedingt den Hallenser Terrence Boyd wollte und vielleicht ja auch noch will: Der ist zwar, wie von Schommers gefordert, ein "Mann für die letzten zwölf Meter" - aber variabel?

Auf der Suche nach dem nächsten Pick

Und wie sieht's mit der einstigen Pick-Position aus - die, wie wir eben gesehen haben, dem stärksten Individualisten im Team vorbehalten sein sollte? Hendrick Zuck ist dies nicht, so viel ist sicher, allerdings interpretierte er die für ihn ungewollte Rolle im DFB-Pokal-Spiel gegen Regensburg nach der Pause bis zu seiner Einwechslung recht gut und war an allen Tor-Aktionen beteiligt.

Gegen Dresden dagegen fiel er außer mit einem gefährlichen Distanzschuss kurz vor der Pause kaum auf. Unterm Strich aber machte Zuck jedoch eine weniger unglückliche Figur als Janik Bachmann, der als halbrechter Achter Unterstützung in der Spitze leisten sollte - aber das ist ist eine andere Geschichte.

Die Anlagen für die zentrale Position bringt Simon Skarlatidis mit - im Abschlusstest gegen Sandhausen (3:0) hat er sich daran auch versucht, allerdings nur mäßig erfolgreich. Eine vielversprechende Option stellt Neuzugang Marlon Ritter dar, der gegen Dresden nach seiner Einwechslung 25 Minuten lang gut "zwischen den Linien" agierte, wie ihm auch Dynamo-Trainer Markus Kauczinski attestierte. Die Sachsen setzten ihrerseits übrigens, solange sie vollzählig waren, auf ein klassisches 4-3-3. Ob das nicht auch für Lautern die bessere Alternative wäre? Das lässt sich abschließend wohl erst sagen, wenn auch die beiden noch angekündigten Neuverpflichtungen getätigt sind.

Die Hoffnungen ruhen auf der neuen Nummer 8

Einen gibt es auf jeden Fall noch, der die Rolle des flexiblen Variablen im Zentrum ausfüllen könnte. Er ist nur 1,70 Meter groß, hat einen linken Fuß, ist zur Hälfte Argentinier - und hat daher im Grunde gar keine Chance, in eine andere Schublade gesteckt zu werden. Und er heißt? Richtig: Nicolas Sessa. Leider hat sich der Neuzugang aus Aue schon zu Trainingsbeginn am Knie verletzt. Wann er nun sein Debüt am Betzenberg feiern darf, ist noch offen.

Immerhin haben sie ihm nicht die "Zehn" gegeben, so dass die Fußstapfen, in die er tritt, nicht allzu offensichtlich sind. Andererseits: Die "Acht", die er bekommen hat, trug einst wer? Richtig: Fritz Walter.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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