Hall of Game: 1. FC Kaiserslautern - Borussia Dortmund 6:3 n.V. (1994/95)

Heulsuse Möller und der Marschall-Plan

Heulsuse Möller und der Marschall-Plan


Das 6:3 gegen Borussia Dortmund ist das wohl legendärste DFB-Pokalspiel in der Geschichte des 1. FC Kaiserslautern. In der Rubrik „Hall of Game“ blickt Rossobianco heute auf das Match vom 20. September 1994 zurück, nach dem selbst seriöse Medien von „kriegsähnlichen Zuständen auf dem Platz“ berichteten.

- Fotos vom Spiel: Kaiserslautern-Dortmund 6:3 n.V.
- Statistik zum Spiel: Kaiserslautern-Dortmund 6:3 n.V.

Es gibt sie ja, diese Fußballspiele, in denen alles passiert, was uns in ein Stadion zieht. Tore en masse, Comebacks kurz vor Schluss, gelbe und rote Karten, Elfmeter, Verlängerung, Schubsereien, gebrochene Knochen und wild gewordene Trainer.

Beim 1. FC Kaiserslautern gab es sowas zudem ja angeblich öfter als bei anderen Klubs. Und ein solcher Tag war der 20. September 1994. Die zweite Hauptrunde im DFB-Pokal zwischen dem frischgebackenen Vizemeister FCK - Thomas Helmer sei dank - und dem kommenden Deutschen Meister Borussia Dortmund. Flutlicht, Dienstagabend 20:15 Uhr, live in der ARD, das Fritz-Walter-Stadion deshalb wohl nicht ausverkauft, aber die Westkurve natürlich rappelvoll. 33.000 auf dem Betze, der alte Fritz selbst anwesend auf der Nordtribüne. Es war angerichtet!

Das letzte Bundesligaspiel gegen „Schwatzgelb“ war erst einen Monat zuvor in Dortmund 1:2 verloren gegangen. Die Roten Teufel fühlten sich dabei betrogen, da Karlheinz Riedle per Schwalbe einen Elfer raus holte. Der Gegentreffer von Stefan Kuntz kam zu spät, und ausgerechnet dieser hatte sich im Spiel zuvor bei Bayer Uerdingen ein Muskelbündel gerissen und musste zuschauen. Genug Zündstoff also für ein heißes Pokalspiel.

Der „Betze“ fing also mit nur zwei Spitzen an, denn damals waren es auch gerne mal drei: Den hochkarätigen „Kukuma“-Sturm des FCK bildeten in der Saison 1994/95 Stefan Kuntz, Pavel Kuka und der neu hinzugekommene Olaf Marschall. Gegen Dortmund mussten Marschall und Kuka es als Duo richten. Dahinter ein offensiver Andy Brehme über links und eine hängende Spitze Martin Wagner noch vor Stratege Ciriaco Sforza. Das ganze weit vor der Mittelinie, denn dahinter thronte der Meister der Übersicht, Miroslav Kadlec. Es war auch das von der Presse stilisierte Match der beiden besten Liberi der Bundesliga, mit Franco Baresi vielleicht die besten der Welt: Miro Kadlec gegen Matthias Sammer.

Der FCK kam schleppend ins Spiel, Sammer spielte deutlich offensiver und hatte etwas mehr Bindung als auf der anderen Seite Kadlec. Die Borussen kontrollierten den Raum und Lautern konnte das Bällchen nicht so laufen lassen. Das führte zu harten Zweikämpfen im zentralen Mittelfeld. Bereits nach 20 Minuten kam es zum ersten Ballyhoo. Sforza führt den Ball im Mittelkreis, Andy Möller kommt von vorne und haut Ciri ohne Chance auf den Ball den Ellenbogen auf den Solarplexus, ein astreiner Bodycheck, aus vollem Lauf. Sforza fällt um wie ein Brett. Rudelbildung. Gerry Ehrmann stürmt aus dem Kasten und mäht Zorc weg. Brehme wirft sich dazwischen. Sforza muss mit Verdacht auf Rippenbruch raus und „Heulsuse“ Möller wird zum Buhmann der Westkurve: „Haut den Möller um, haut den Möller um!“ FCK-Trainer Friedel Rausch wird gegen den Dortmunder Co Michael Henke handgreiflich. Dessen Chef Ottmar Hitzfeld zeigt der kompletten FCK-Bank den Vogel und den Scheibenwischer. Es gab damals keine Coaching-Zone und erst recht keine vierten Offiziellen. Herrlich! Heutzutage hätte es wohl zwei Rote Karten und drei Tribünenplätze gehagelt, damals war das einfach „Pokal“ und „Betze“. Möller sah übrigens nicht mal Gelb.

Dortmund nutze die Verwirrung geschickt aus, brachte immer wieder Sammer in Ballbesitz. Matthias Hamann, der für Sforza kam, konnte sich dagegen nicht so schnell ins Spiel einfinden. Außer einer guten Schusschance für Olaf Marschall aus 17 Metern kamen die Roten Teufel nicht gefährlich vor die Kiste von Stefan Klos. Einige Minuten vor der Pause bediente Sammer außen Stefan Reuter, der ließ abtropfen auf Flemming Povlsen, Zuckerflanke auf Stephane Chapuisat, Kopfball, 0:1 (38.). Insgesamt verdienter Zwischenstand zur Halbzeit.

Nach der Pause der FCK sofort aggressiv, mit dem Ziel ein Zeichen zu setzen im eigenen Stadion und zudem jetzt auf die Westkurve spielend. Schon nach zwei Minuten stoppt Dirk Anders einen BVB-Angriff mit einem weiten Schlag auf Kuka, der kann den Ball kontrollieren, legt erneut ab auf Anders, der aus dem Rückraum durchzieht und aus 19 Metern gewaltig einnetzt (48.). Der frühe Ausgleich, wichtig fürs Spiel und die Dramatik, die jetzt erst richtig losgehen sollte.

Anders riss sich beim Torschuss die Bänder, besser gesagt danach, weil Steffen Freund hinterher noch den Schlappen drauf hielt. Eigentlich ebenfalls dunkelgelb. Er konnte nicht weiter machen, musste runter, dafür kam Marco Haber. Allerdings verletzte sich noch vor dieser Auswechslung auch Olaf Marschall, ebenfalls am Fuß, nach Zweikampf mit Bodo Schmidt. Gerry Ehrmann legte einen Sprint zum Linienrichter hin und fuchtelte in der Nähe dessen Nasenbeins mit seinen Tarzan-Pranken durch die Lüfte. Friedel Rausch flitzte über den Platz, um zu sehen, wen er nun tatsächlich auswechseln musste, denn damals waren nur zwei Auswechslungen erlaubt, als drittes durfte bestenfalls noch der Keeper wechseln. Er entschied sich für Anders, Marschall spielte weiter, mit Knöchelblessur, später stellte sich der Verdacht auf Mittelfußbruch wenigstens „nur“ als Bänderdehnung heraus. Lautern also weiterhin zu elft, „Füßbollgött“ Olaf spielte mit kaputtem Knöchel weiter, unglaublich. Das Spiel bereits jetzt allein durch Foul-Unterbrechungen etwa zehn Minuten hinter der Zeit.

Kurz darauf die nächsten Handgreiflichkeiten zwischen Sammer und Hamann. Doch in der Folge verstand es der FCK nicht, das heiße Spiel zu beherrschen. Hamann verlor den Ball nach schlampigem Haber-Pass an Möller, der spurtete an, spielte in den Lauf von Povlsen auf halbrechts, und der wiederum ließ Gerry aus elf Metern im spitzen Winkel keine Chance. Das 1:2, der „Betze“ wieder hinten (57.).

Das Spiel wurde noch intensiver, Ruppigkeiten waren an der Tages- bzw. Minutenordnung. Marschall verletzte sich in der Schlussphase der regulären Spielzeit erneut am bereits lädierten Fuß und konnte eigentlich nur noch humpeln. Zeitgleich riss sich Flemming Povlsen ohne Einwirkung von Kadlec das Kreuzband, musste runter, für ihn kam der spätere Lauterer Thomas Franck. Der dänische BVB-Kultstürmer Povlsen kam nach dem zweiten Kreuzbandriss seiner Karriere nicht mehr auf die Beine und wurde einige Monate später mit nur 29 Jahren Sportinvalide. Der eingewechselte Franck indes war heiß wie Frittenfett, aber leider nicht schnell genug für Kuka, fällte diesen nach bereits zwei Minuten, sah Gelb. Nur weitere sechs Minuten später lief ihm Kuka erneut an der Mittelinie weg, er zog ihn zu Boden. Das war auch für den legendären Betzenberg ein Topwert: In der 72. Minute drauf, in der 80. zum Duschen!

Und jetzt war die Kurve am explodieren! Ohnehin schon ein richtiges Betze-Spiel, doch in den letzten regulären zehn Minuten peitschten die Schlachtrufe der 13.500 Westkurven-Krischer die Teufel nach vorne wie ein Orkan. Nix „Humba“, kein „Forza FCK“, kein Megaphon, kein Einklatschen! Einfach „Heja, heja“, „Kämpfen Lautern“, „Allez, allez“. Kein Gesang! Infernalisches Gebrüll!

89. Minute: Einwurf Haber, Kadlec zu Wolfgang Funkel, weiter Schlag auf Brehme, Flanke auf Hinkefuß Marschall, Schmidt dazwischen, aber nicht mit dem Kopf! Handspiel! Dass Marschall ihm unten die Beine wegzog und er gar nicht anders konnte, um die Balance zu halten, war damals egal. Damals gab es noch Elfer für Kaiserslautern in entscheidenden Szenen! So jetzt auch. Andy Brehme, der Held vom Rom, wer sonst. Wie immer, Elfmeter mit rechts! Und die gleiche Ecke wie in Italien 1990. Der Ausgleich! 2:2, Verlängerung und Lautern in Überzahl, wenn man Marschall als vollwertigen Spieler werten konnte.

Dortmund kam besser rein, war wacher. Sammer jetzt nur noch vorne. Bester Mann auf dem Platz, gewiss! Und dann das: Möller wurschtelt am Strafraum rum, legt ab auf Sammer, der tunnelt Axel Roos, links unten schlägts ein. Erneute Führung, die dritte für Dortmund, und das in Unterzahl! Spätestens hier würden die meisten der heutigen Kicker depressiv am Boden liegen und ans Abendessen mit der Mutti oder an das nächste Vertragsgespräch mit dem Berater denken. Nicht so der FCK von 1994!

Im direkten Gegenzug nach dem Anstoß gibt Funkel, der jetzt auch stürmte, Julio Cesar eine Kopfnuss mit, der Brasilianer muss benommen zur Behandlung. Dortmund also nur noch mit neun Mann auf dem Rasen, zentral fehlt Cesar jetzt. In diese Lücke sprintet Wagner, sein Pass auf Kuka wird von Knut Reinhard in die Mitte geklärt, da steht Kadlec... 25 Meter zum Tor, Außenspan, ein Strich, 3:3!

Absoluter Wahnsinn, das dritte Comeback in einem Spiel! Dortmund, insbesondere Sammer nun etwas entnervt! Verständlich. Jetzt beiderseits keine sauberen Aktionen mehr im Mittelfeld, fast jeder Zweikampf mit Feindberührung, Fehlpassorgien. Lange Flanke von Kuka ins Nichts, Dortmund klärt überhastet, Kadlec holt sich das Leder, bedient Brehme, der wieder mit seiner linken Banane auf den Elferpunkt. Da steht, oder besser humpelt Marschall. Der legt sich quer in die Luft, reckt den rechten großen Zeh hoch und bugsiert das Ding an Klos vorbei ins Tor. Die erste Führung für die Betzebuben, nach 102 Minuten! 4:3 ausgerechnet durch Marschall. Mehr Drama geht nicht!

Zwischendurch im TV ein Interview mit Ciri Sforza, der aus dem Krankenhaus zurück war. Üble Beschuldigungen gegen Andy Möller, heute würde ein Pressesprecher solche Interviews während des Spiels sicher nicht dulden. Einfach ein geile Zeit damals!
Dortmund bemühte sich weiter, brachte Kalle Riedle und löste die Libero-Position auf, doch der „Betze“ war jetzt spielerisch klar im Vorteil, hatte viel Raum. Die gelbe Abwehr war platt, der FCK läuferisch in einer Topverfassung. Hengen läuft durchs halbrechte Feld, raus zu Haber, der spielt am Fünfer quer zum freien Kuka, 5:3 für Lautern (114.)! Die Entscheidung!

Eine Minute vor dem Ende ein Kopie dieser Szene. Hengen am Strafraum, legt wieder ab auf Haber, die Flanke dieses mal hoch, Martin Wagner köpft das 6:3. Der Betzenberg ein Fahnenmeer! Und seit dem 4:3 dröhnt „Aida“ durch die Kurve, der Triumphmarsch! Dauergesang vom Feinsten, und das ganz ohne vorher verteilte Textzettel.

ARD-Kommentator Wilfried Mohren zitierte einen „Pokalfight par excellence, der ab und an darunter litt, dass der ein oder andere die Nerven verlor“. Als Betzebub muss man natürlich sagen, das Spiel lebte davon, dass sich zwei Mannschaften, die zu den Granden dieser Zeit zählten mit Rasierklingen unter den Armen begegneten und es so erst zu dem Wahnsinns-Kick wurde, der uns allen bis heute im Gedächtnis bleibt. Lauterns Manager Rainer Geye hatte nicht unrecht mit seiner Aussage unmittelbar nach dem Pokalfight: „Diese Partie geht genauso in unsere Geschichte ein, wie das 7:4 gegen Bayern München oder das 5:0 gegen Real Madrid.“

Andere Beteiligte setzten den Fight nach dem Spiel mit aus heutiger Sicht fast undenkbarer Direktheit fort - sozusagen die verbale Verlängerung der Verlängerung. „Das war heute Pogromstimmung. Der Schiedsrichter ist umgefallen wie eine Primel“, ließ sich Dortmunds Präsident Gerd Niebaum zitieren. „Die Dortmunder sollen nicht so ein Theater machen. Wir sind doch nicht im Kindergarten“, konterte Andy Brehme. Und FCK-Trainer Friedel Rausch ergänzte: „In der Bundesligapartie in Dortmund sind wir beschissen worden. Die ständigen Anschuldigungen können wir uns nicht bieten lassen.“ Auslöser des ganzen Tumults war die Tätlichkeit von Möller gegen Sforza, zu der auch Schiedsrichter Hermann Albrecht noch eine interessante Ergänzung nachreichte: „Ich habe bei der Unterbrechung Möller zu dem Vorfall befragt. Er hat zu mir gesagt: Ich schwöre ihnen, ich habe Sforza nicht berührt.“

ARD-Moderator Waldi Hartmann, damals noch mit buschiger Oberlippen-Behaarung, zog im Anschluss an das Spiel die Lose für die nächste Runde mit Fritz Walter. Der bescherte den Roten Teufeln ein weiteres Heimspiel gegen Zweitligist Fortuna Köln, das mit 7:3 gewonnen werden sollte. Eine Zeit also auch, in der der FCK noch Tore am Fließband erzielte, wenn er mal einen Lauf hatte. Die Pokalsaison endete erst im Halbfinale, ebenfalls ein denkwürdiges Spiel, in Mönchengladbach. Aber davon sollen Axel Roos und Martin Dahlin erzählen.

Als die Flutlichter an diesem 20. September 1994 ausgingen, gegen 23:10 Uhr, nach zehn Gelben, einer Roten Karte, nach einer Bruttospielzeit von 136 Minuten, verließen diese Pokalhelden das ehrwürdige Fritz-Walter-Stadion am Betzenberg:

Ehrmann - Kadlec - Roos, Funkel - Hengen, Anders (52. Haber), Sforza (20. Hamann), Wagner, Brehme - Kuka, Marschall

Weitere Videos vom legendären Pokalfight gegen Dortmund sind u.a. im grandiosen Youtube-Kanal von Australautern zu finden: Zu Youtube.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Rossobianco

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